N. Nösges u.a. (Hrsg.): Caesarius von Heisterbach Dialogus Miraculorum

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Titel
Caesarius von Heisterbach: Dialogus Miraculorum – Dialog über die Wunder. Lateinisch-deutsch


Autor(en)
Nösges, Nikolaus; Schneider, Horst
Reihe
Fontes Christiani 86
Erschienen
Turnhout 2009: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hiram Kümper, Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Universität Bielefeld

Mit der hier zu besprechenden fünfbändigen Ausgabe liegt der in den Jahren um 1220 entstandene «Dialogus miraculorum» des Zisterziensers Caesarius von Heisterbach, dem von jeher viel Beachtung aus ganz unterschiedlichen Disziplinen geschenkt wurde, nun endlich in vollständiger Übersetzung vor. In der Tat wird man seinen Quellenwert nicht nur für die Religions-, sondern auch die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des früheren 13. Jahrhunderts wohl kaum überschätzen können. Im Zwiegespräch zwischen Mönch und Novizen werden zwar hauptsächlich wichtige religiöse Lehrinhalte, etwa zur Beichte, zu den Sünden und Tugenden oder über die Kunst des rechten Sterbens, vermittelt. Die Exempla aber, anhand derer der Mönch, hinter dem sich wohl der Autor und langjährige Novizenmeister selbst verbirgt, seine Lehrsätze entwickelt, entstammen nicht nur aus religiöser Überlieferung, sondern auch der weltlichen Literatur und vor allem auch: der eigenen Anschauung bzw. unmittelbarer Erzählung von Beteiligten. Dieser wichtige Schatz an Motiven, Traditionen und Erzählstoffen liegt nun also erstmals in einer vollständigen deutschen Übersetzung vor. Bis dahin war der lateinunkundige Leser auf die Auswahlübersetzungen von Alexander Kaufmann (2 Bde., 1888/91), Ernst Müller-Holm (1910) oder Otto Hellinghaus (1925) angewiesen. Allein der Umstand, dass insgesamt drei dieser in Anspruch und Qualität sehr unterschiedlichen Arbeiten angestrengt worden sind, zeigt das grosse – und sicher nicht ungerechtfertigte – Interesse an Caesarius’ Wundergeschichten. Und das ist früh erwacht, wovon neben zahlreichen frühen Übersetzungen einzelner Teile bereits während des ausgehenden Mittelalters vor allem die umfangreiche (aber immer noch Teil-)Übersetzung des bayerischen Gelehrten Johann Hartlieb um die Mitte des 15. Jahrhunderts (ediert von Karl Drescher, 1929) zeugt.

Die oft lesebuchartigen Teilübersetzungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert deuten bereits darauf hin: der «Dialogus› ist nicht nur für ein engeres Fachpublikum von Interesse gewesen. Gerade die vielen aussergewöhnlichen, im Wortsinne «wunderlichen» Geschichten und Exempel – darunter zum Beispiel einige Gespenstergeschichten – sind dazu angetan, jenseits theologischer oder historischer Forschung als kulturhistorischvolkskundlicher Steinbruch genutzt zu werden. Das ist sicher noch immer so und dem trägt auch die Ausgabe auf ihre Art Rechnung, indem Horst Schneider seine Einleitung weit breitentauglicher anlegt als das sonst üblich ist. Sie beginnt mit einer knapp 20-seitigen Einführung in die Geschichte des Zisterzienserordens. Diese leitet über in eine Geschichte der Abtei Heisterbach, erst auf Seite 43 begegnet uns Caesarius selbst und bald dann auch sein «Dialogus». Ausführungen über die Forschungsgeschichte werden nur sehr komprimiert geboten, statt dessen finden sich sehr grundlegende Informationen über den geisteshistorischen Kontext, innerhalb dessen das Werk entstanden ist, ergänzt durch einen Exkurs über die literarische Rezeption des Caesarius in der Neuzeit sowie eine Reihe von Anhängen, namentlich eine (idealtypische) Tagesordnung für Zisterzienserabteien und einen ebenso idealisierten Plan eines Zisterzienserklosters. Das ist eine klare Publikumsentscheidung, die man je nach eigenem Standpunkt befürworten oder bedauern kann. Die umfangreiche Bibliographie der Caesarius-Literatur, die dem Band beigefügt ist, versetzt jedenfalls jeden Interessierten in die Lage zum vertieften Selbststudium.

Der lateinische Text und damit die Grundlage der Übersetzung folgt der kritischen Ausgabe durch Joseph Strange aus dem Jahr 1851, übernimmt zum Teil auch dessen Corrigenda, lässt aber seinen kritischen Apparat aus. Dagegen ist zunächst einmal nichts einzuwenden. Etwas bedauerlich sind dann aber die Ausführungen zur Überlieferung (91), die lediglich Stranges veraltete Informationen ohne die nötigen Präzisierungen und Aktualisierungen übernehmen und die, gerade weil sie aus ihrem ursprünglichen Kontext entrissen sind, problematisch werden. Eine Information wie «C (Köln) circa 1450 geschrieben» beispielsweise ist textkritisch wertlos (gemeint ist wohl Köln, Historisches Archiv der Stadt, GB fol. 87, über deren Verbleib nach der Kölner Archivkatastrophe noch gebangt werden muss). Mittlerweile sind auch eine ganze Reihe weiterer Handschriften bekannt geworden – auch darauf wäre ein Hinweis angebracht gewesen (vgl. dazu auf aktuellem Stand Carmen Cardelle de Hartmann, Lateinische Dialoge 1200–1400. Literaturhistorische Studie und Repertorium, Leiden 2007 [= Mittellateinische Studien und Texte, 37], 353ff.).

Diese kritischen Anmerkungen gegenüber der textkritischen Aufarbeitung der Ausgabe vermögen freilich nicht den Umstand zu schmälern, dass hier ein ausgesprochen verdienstvolles Übersetzungswerk geleistet worden ist, das einen wichtigen, aber sehr umfangreichen Text der mittelalterlichen Frömmigkeits- und Kulturgeschichte nun endlich vollständig zugänglich macht. Für diese Mühen muss man den Bearbeitern nachdrücklich dankbar sein.

Zitierweise:
Hiram Kümper: Rezension zu: Caesarius von Heisterbach, Dialogus Miraculorum/Dialog über die Wunder, lat.-dt., eingeleitet von Horst Schneider, übersetzt und kommentiert von Nikolaus Nösges und Horst Schneider, 5 Bde. (=Fontes Christiani, Bd. 86), Turnhout, Brepols Publishers, 2009,. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 463-464.